Erntedank - Feste: Hot Spots des Lebens für Familien

8 IM ZUG Eine Frau Anfang 30 betrat mit zwei etwa zehn und zwölf Jahre alten Kindern den gut besetzten Speisewagen, am Arm einen großen Korb voller Rosen. Mit freundlicher Stimme fragte sie, ob ihr die Anwesenden ei- nen Moment Aufmerksamkeit schenken wür- den. Nein, die Geschichte geht keinesfalls so weiter, wie Sie jetzt glauben. Sie sei, sprach die Frau in die Runde, die Tochter des Lokführers. Und ihr Vater habe just in dieser Stunde im Führerstand der Lok seine allerletzte Fahrt; und diese ende in Leipzig. Er habe zeit seines 40-jährigen Berufslebens bedauert, dass er nie die Fahr- gäste sehen könne, die er tagaus, tagein befördere. Und so habe sie sich gedacht, dass heute eine gute Gelegenheit sei. Und ob sie denn allen Fahrgästen eine Rose aus- händigen dürfe, die diese wiederum bei der Ankunft in Leipzig ihrem Vater überreichen würden? Es war einen Moment still im Speisewagen, erst sah man erstaunte Gesichter, dann viele nickende Köpfe. Es hat jeder eine Rose ge- nommen. Bundeswehrsoldaten, Manager, Geistliche, Monteure, Laptop-Klapperer, Studenten, Omas und Enkel. Als der Zug in Leipzig einfuhr, war alles anders als sonst, wenn ein Zug ankommt. Besonders auffäl- lig: die Abwesenheit von Hektik. Der sonst so eilig fließende Strom der Reisenden schob sich gemächlich dahin, er tröpfelte nur. Zahllose Menschen bewegten sich auf die Lok zu, vor der sich in kürzester Zeit eine Schlange bildete. Und jeder sagte dem nach kurzer Zeit tränenüberströmten Lokführer einen kleinen Spruch ins Gesicht. Schon bald war der Führerstand übersät mit Rosen. Das dreiköpfige Empfangskommando der Bahn, das am Bahnsteig gewartet hatte, um dem Lokführer-Jubilar einen kleinen Strauß zu überreichen, starrte fassungslos auf den Auflauf und heulte wenig später selber mit. Birgit Kummer, Thüringer Allgemeine, 25.10.2008 Den Garten des Paradieses betritt man nicht mit den Füßen, sondern mit dem Herzen. Bernhard von Clairvaux

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